"eine glocke die läutet ist
eine glocke die läutet
eine glocke die nicht läutet ist
vielleicht eine kanonenkugel"
Hermann Jandl [mit freundlicher Genehmigung des Autors]
Die Glocken
"Es wird vermutet, dass die aus Kupfer und Zinn erschmolzenen Legierungen, Zinnbronzen genannt, bereits seit dem 4. Jahrtausend v. Chr. in China bekannt waren. Zur selben Zeit findet man Hinweise auf diese Metalle bei den Sumerern am Euphrat und Tigris." (Wille, Die Glocken von Berlin, S. 45)
Kleine Glocken (eher "Glöckchen") und Schellen waren bei Griechen und Römern, aber auch im alten Israel in Gebrauch (vgl. 2. Mose 28,33–35; 39,25f). Durchgesetzt haben sich die Glocken als Klanginstrumente zum Herbeirufen der Gemeinde wohl im 6. Jahrhundert nach Christus. Unter Karl dem Großen (um 800 nach Christus) wurde es dann allgemein üblich, Kirchtürme (Campanile, von campanella = Glocke) zu bauen und Glocken in sie zu hängen.
Die Glocken – im katholischen Bereich werden sie besonders gesalbt und geweiht – dienen dazu, an die Gebetszeiten zu erinnern (Morgen-, Mittag-, Abendläuten), und sie rufen die Gemeinde zum Gottesdienst zusammen, früher auch zu besonderen Gelegenheiten (Krieg, Feuersbrunst u. ä. m.)
Im Turm der Kirche Am Hohenzollernplatz hingen ursprünglich 4 Bronzeglocken in folgenden Tönen/Durchmessern/Gewichten sowie Umschriften:
g (1980 mm/4350 kg) "Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben" (Offenbarung 2,10b) als Widmung und zur Erinnerung an die Gefallenen des ersten Weltkriegs ("Heldenglocke")
b (1700 mm/2830 kg) "Ehre sei Gott in der Höhe" (Lukas 2,14)
c’ (1510 mm/1990 kg) "Wir haben Frieden mit Gott und unserem Herrn Jesus Christus" (Römer 5,1)
es’ (1300 mm/1290 kg) "Seid fleißig zu halten die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens" (Epheser 4,3).
So ergab sich ein Terz-Quart-Akkord wie im "Parzifal"-Glockenmotiv von Richard Wagner, abgestimmt mit den benachbarten Geläuten (St. Ludwig, Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche). Die Glocken waren von der renommierten Firma Franz Schilling in Apolda gegossen worden. Bei der feierlichen Einholung der Glocken sang ein Schulchor.
Wichtig für den Klang ist, dass die Glocken hoch in einem Turm hängen, damit ihr Schall weithin klingt. Damit aber ergibt sich das Problem einer angemessenen Statik für den Turm, denn es werden gewaltige Kräfte freigesetzt, derer sich Architekt und Statiker bewusst waren. Allerdings hatte man damals noch nicht die Möglichkeit, exakte Messungen durchzuführen, man war auf Erfahrungswerte angewiesen.
Der Turm der Kirche ist "ganz anders konstruiert, als vielleicht gar Konstrukteure annehmen. Der Dr.-Ing. Kuball und ich, wir wissen es, warum er so konstruiert ist und nicht anders. Hoch oben im Turm hängen vier Glocken. Sie schwingen und schwingen auch, wie es der Statiker fühlt, und deshalb kommt hier zum Trägheitsmoment, wie es der Statiker nennt, noch eines hinzu: das Faulheitsmoment. ... Ja das Faulheitsmoment, Beharrungsvermögen, war auch hier, bei diesem Kirchturm sehr wichtig, und darum ist der Turm nicht aus sehnigem federndem Material konstruiert, wie etwa Stahlskelett oder Eisenbetonfachwerk, sondern er ist schwerfällig und ganz schwer gebaut, gemauert ist er, von unten bis oben hinauf, dickwandig und klobig schwer, so daß die Schwingung der Glocken und auch der einseitige Druck des Sturmes bei Windstärke 11 ihm nichts anhaben können …" (Höger)
Im April 1940 musste Pfarrer Kaiser dem Wilmersdorfer Gemeindekirchenrat mitteilen, "dass auf staatliche Anforderung die Bronzeglocken der Lindenkirche und der Kirche am Hohenzollernplatz für eine etwaige Ablieferung angemeldet sind. Es wird angeregt, wenn möglich, im Bedarfsfalle von den Stahlglocken in den anderen Kirchen je eine Glocke den glockenlosen Gemeinden zur Verfügung zu stellen." (Protokollbuch des Gemeindekirchenrats 16.4.40) Die Glocken wurden dann zum Einschmelzen für kriegstechnische Zwecke abgehängt. (Auch das – nach dem Brand restliche? – Kupfer des Kirchdachs wurde für "kriegswichtige Zwecke" abgeholt!)
Wie im Jahr 2003 durch Messungen festgestellt werden konnte, hat die kleinste der ursprünglichen Glocken bereits zu Schäden am Turm geführt, da ihre Schwingungen auch den Turm in Bewegung brachten und zu Rissen führten.
Ja, ein Beharrungsvermögen, ein Faulheitsmoment braucht so ein Turm, wie sich dann bei der Einhängung eines neuen Geläuts nach dem Krieg erwies. Hatten die ursprünglichen Glocken ein Gewicht von 10.460 kg, so hatten die vier 1958/59 beschafften Glocken ein Gewicht von zusammen nur noch 3.909 kg. Ohne Schwingungsmessungen durchzuführen, um festzustellen, welche Wechselwirkungen durch das neue, wesentlich leichtere und anders gestimmte Geläut zwischen Turm und Glockenschwingungen entstehen, nahm die Gemeinde 1958 zunächst zwei Stahlglocken (e’ und fis’) dankbar an, die das Konsistorium zur Verfügung stellte. Ursprünglich läuteten diese Glocken in Ilsfeld/Württemberg, wurden dort aber wegen Veränderungen am Kirchturm ausgehängt. Die Kirchengemeinde Am Hohenzollernplatz beschaffte Anfang 1959 zur Vervollständigung des Geläuts selbst zwei Glocken (cis’/a’). Gegossen waren alle vier Stahlglocken durch das Gussstahlwerk Bochumer Verein. Die Umschriften der Stahlglocken lauten:
Große Glocke (cis’, 1600 mm, 1564 kg): "Höret, so wird eure Seele leben" (Jesaja 55,3)
Mittlere Glocke (e’, 1387 mm, 1080 kg): "Gott ist unsere Zuversicht" (Psalm 46,2)
Kleine Glocke (fis’, 1170 mm, 700 kg): "Friede sei mit euch" (Lukas 24,36; Johannes 20,19.21.26)
Kleinste Glocke (a’, 1080 mm, 565 kg): "Danket dem Herrn" (Psalm 105,1 u. ö.)
Alles in allem kostete das mit Montage und Läutezubehör ca. 20.000 DM, die durch Beihilfen von Konsistorium, Bauverein und Gemeinde aufgebracht wurden.
Am Pfingstsonntag 1959 wurden die Glocken festlich in Dienst gestellt.
Mit Entsetzen stellte man 1960 fest, das beim Läuten der Turm bis zu einem Meter(!) mitschwang und sich Risse zeigten. Nun hatte man ein Folgeproblem: der Turm musste durch ein Stahlkorsett ausgesteift werden (Abnahme am 28.5.1963), was zusätzlich und unerwartet 63.000 DM kostete.
Heute nun sind die Stahlglocken völlig verrostet, Risse zeigen sich, die Obertonreihen werden nicht mehr klangrein aufgebaut. 3 Klöppel sind schon einmal ausgerissen und abgestürzt. Der Glockenstuhl muss ebenfalls entrostet und gestrichen werden, die Betondecke der Glockenstube ist zu sanieren. Aufgrund dessen hat die Gemeinde im Jubiläumsjahr 2003 versucht, die Glockenstube in Ordnung zu bringen, und ein Bronzegeläut angeschafft, das mit den Nachbargemeinden abgestimmt wurde. Es klingt nicht ganz so tief wie das ursprüngliche Geläut, da ca. 11.000 kg Glockenbronze in absehbarer Zeit nicht zu bezahlen waren. Es zeichnete sich eine kleinere Lösung ab, mit ca. 6.000 kg Glockenbronze für 4 Glocken und der Stimmung b°, des’, ges’ und as’. Als Umschriften hat der Gemeindekirchenrat beschlossen: "Ehre sei Gott in der Höhe" (Lk 2,14); "Höret, so wird eure Seele leben" (Jes 55,3); "Friede sei mit euch" (Lk 24,36); "Danket dem Herrn" (Ps 105,1). Gegossen wurden die neuen Glocken von der Kunstgießerei Lauchhammer.